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Der Sohn des NS-Propaganda-Regisseurs Veit Harlan zündete einst die Kinos an, in denen die Filme seines Vaters liefen. Christoph Hübner, Regisseur der Fußballer-Doku »Die Champions«, porträtiert in seinem neuen Film »Wandersplitter« Thomas Harlan, den Sohn von Hitlers Lieblingsregisseur Veit Harlan (»Jud Süß«). Der aus über 50 Gesprächsstunden destillierte Fast-Monolog stellt Thomas Harlans Verfolgung untergetauchter Naziverbrecher in den Mittelpunkt, aber auch die privaten und schicksalhaften Blessuren, die untrennbar mit seiner Biografie verbunden sind. (Cinema)
Ein Sanatorium, ein Zimmer, ein Schreibtisch, Aussicht auf die Berge. Der Kamera zugewandt: Thomas Harlan, Autor und Filmemacher, Abenteurer, Nazi-Verfolger. Er spricht, denkt nach, verführt, bricht ab. Ein Film entsteht im Kopf: eine Fahrt durch Moskau, eine Begegnung mit Hitler, »Sprache als Kathedrale«, die stillschweigende Rehabilitierung von Kriegsverbrechern, angezündete Kinos und das Verhältnis zu seinem Vater, dem »Jud Süß«-Regisseur Veit Harlan. (RealFiction)
Wandersplitter geraten durch Verletzungen in den Körper, sind schwer zu orten, latent schmerzhaft und bewegen sich zielstrebig auf das Herz zu, wo sie im irritierend ungewissen Fall ihrer Ankunft tödlich wirken. Dieses Bild stammt von Thomas Harlan selbst, dessen Leben und Denken sich in einem abendfüllenden Film aus größeren und kleineren Episoden bruchstückhaft zusammensetzt.
In seinem Zimmer in einem Lungensanatorium in den Bergen des äußersten Süddeutschlands erzählt der 1929 geborene Sohn von Hitlers Lieblingsregisseur Veit Harlan Geschichten – persönliche, politische und »ohne Ich«. Seit 2001 ist Weltenbürger Thomas Harlan in diesem einen Raum zu Hause, mit Blick auf den Obersalzberg. »Hitler hätte mich hier sehen können«, deutet er auf das Panorama und schlägt so den Bogen zur eigenen Geschichte: Als Kind zu Gast bei Hitler, bei Kriegsende konfrontiert mit dem zerstörten Deutschland, als Naziverfolger in polnischen Archiven aktiv, lebenslang der zwiespältigen Anziehungskraft des Namens Harlan ausgesetzt. Auch wenn ihn mit dem Vater eine große Liebe verbindet – gegen den Propagandisten, der »Jud Süß« in Szene setzte, führte Sohn Thomas einen jahrzehntelangen Kampf. Zündete er anfangs noch Kinos an, die Filme seines Vaters zeigten, fragt er sich bis heute, wie der Vater nach Kriegsende weiter als Filmemacher arbeiten konnte, ohne persönliche Konsequenzen zu ziehen: »Wenn du das weißt, dass du einen Hammer gemacht hast, mit dem man andere totgeschlagen hat, kannst du nicht mehr ein Hammermacher sein.«
Doch die Erfahrungen seiner Kindheit als »das Nein weg war« und Freundschaften angesichts von Ideologien verraten wurden, schützten Thomas Harlan nicht davor, selbst blinde Flecke zu entwickeln: »Es gibt kaum eine größere Verdunklungsgefahr für die Wirklichkeit als die Zuneigung zu Urhebern von Wirklichkeiten« reflektiert er heute u.a. über seine Zeit in der frühen Sowjetunion. Bereits 1948 ins Exil nach Frankreich gegangen, begab sich Harlan auf eine jahrzehntelange Suche nach Alternativen im Politischen wie Menschlichen, die über verschiedene Kontinente, Berufe und Enttäuschungen führte: Nicht nur etliche Filme, Theaterstücke, Erzählungen und Romane sind Resultat dieser Spurensuche, sondern auch gut 2000 Anklagen gegen von Harlan enttarnte Kriegsverbrecher – und schließlich auch ein Verfahren gegen ihn selbst, dessen Arbeit oft mit allen Mitteln zu verhindern versucht wurde. Dabei entsprang die Verfolgung von Kriegsverbrechen nicht »irgendeinem Lebensziel oder irgendeiner Lust. (...) Meine Lebensvorstellung ist immer auf eine wundersame und für mich immer von mir gut empfangene Weise gestört worden«, erklärt er und resümiert »Mein Leben ist reich an Unfällen, die ich sehr selten provoziert, meistens aber akzeptiert habe«.
Nur ein Meter Raum liegt zwischen Kamera und Protagonist. In radikaler Reduktion filmischer Mittel bietet der konzentrierte Blick einem Erzähler Raum, der weniger als Zeitzeuge im Sinne der »oral history« fungiert, als vielmehr selbst dichtet und verdichtet und mit Präzision und Kreativität die von ihm als »Kathedrale« definierte Sprache nutzt. Gegliedert in nachträglich mit »Vatermord« oder »Eine Geschichte ohne Ich« überschriebene Kapitel fügen sich Harlans biographische Wandersplitter, einer klar strukturierenden Dramaturgie folgend, zu einem Gesamtbild mit erklärtem Anspruch auf Unvollständigkeit: Thomas Harlans Sprache macht erlebbar, wie Erinnerung funktioniert – diskontinuierlich, in Stimmung und Ton schwankend, voller Anfänge, Unterbrechungen, Auslassungen und Hinzufügungen.
(RealFiction)
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