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Der türkische Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk erzählt von Istanbul, der Stadt, die sein gesamtes Leben und Schaffen geprägt hat – von ihren Bewohnern, ihren verfallenen Monumenten, verwunschenen Villen, melancholischen Gassen und belebten Wasserstraßen. (buchreport.de)
Orhan Pamuk, der wohl berühmteste türkische Autor der Gegenwart, verbindet in seinem Buch »Istanbul – Erinnerungen an eine Stadt« die Geschichte der sagenumwobenen Stadt, die von Jugend an seine Phantasie angeregt hat, mit Schilderungen von Menschen und Orten. Er beschreibt eindringlich die verfallenen Monumente, die von einstiger Größe zeugen, die verwunschenen Villen und verwilderten Gärten, die melancholischen Gassen und die belebten Wasserstraßen des Bosporus und des Goldenen Horns.
Istanbul ist aber auch die Geschichte einer Kindheit. Der junge Orhan durchstreift erst an der Hand seiner Mutter oder im Ford des Onkels, dann auf eigene Faust die Stadt, der er von Anfang an verfallen ist. Die Großfamilie lebt noch wie in osmanischen Zeiten unter einem Dach in den »Pamuk Apartmeni«, während das ererbte Vermögen Vater und Onkel unter den Händen zerrinnt. Der Niedergang der einst so großartigen kosmopolitischen Stadt spiegelt sich in gewisser Weise in der allmählichen Auflösung von Pamuks Familie, und die Melancholie ist daher für den Schriftsteller die Eigenschaft, die ihn so wie alle Bewohner Istanbuls am meisten charakterisiert.
(Hanser Verlag)
Das Wort Hüzün kommt aus dem Arabischen und ist in seiner Bedeutung zwischen Melancholie und Tristesse anzusiedeln. Orhan Pamuk bemerkt schon als kleines Kind in den 1950er-Jahren, dass er oft in diesen Zustand verfällt – und dass er damit in Istanbul nicht allein ist. Das Zerfallen der Stadt und das Verschwinden der Farben aus dem Straßenbild sind Ausdruck einer Entwicklung seit dem Niedergang des osmanischen Reichs, wie Pamuk viel später bemerkt. Noch aber streift er mit großen Augen an der Hand seiner Mutter durch die Stadt oder wird vom Onkel mit dem Auto an den Bosporus gefahren.
Ob auf den Straßen oder auf dem Fluss: Orhan erkundet seine Heimatstadt immer systematischer. Auch die Großfamilie kommt in seinen Schilderungen nicht zu kurz. Reich geworden durch die Geschäfte des Großvaters zur Gründungszeit des Nationalstaates, verschwendet sie ihren Wohlstand zunehmend und zerfällt am Ende genauso wie die Gesellschaft vor der Haustür. »Istanbul – Erinnerungen an eine Stadt«, Orhan Pamuks Blick zurück auf ein besseres, glänzenderes Istanbul ist wehmütig. Er ist aber auch spöttisch und so ohne jegliches Pathos.
(kulturnews.de)
Orhan Pamuk ist ein Ausnahmetalent. Kaum ein anderer Dichter unserer Zeit geht den historischen Spuren des Westens im Osten und des Ostens im Westen so eindringlich nach wie der türkische Literatur-Nobelpreisträger von 2006. So wird er zum wichtigen Bindeglied zwischen Okzident und Orient, zwischen EU und der islamisch geprägten Türkei, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Diesen Spagat versucht auch die Stadt Istanbul, die allein aufgrund ihrer besondere Lage auf dem europäischen und asiatischen Kontinent eine Sonderrolle einnimmt. Demzufolge passen Pamuk und Istanbul hervorragend zusammen, und das nicht nur weil es sich um seine Heimatstadt handelt.
Das Buch »Istanbul – Erinnerungen an eine Stadt« ist eine gelungene Mischung aus historischem Lesebuch und autobiographischem Roman. Im Fokus stehen die Kinder- und Jugendjahre des Autors. Der Leser erlebt einen liebevollen Rückblick auf die Entwicklung einer Millionenstadt, die Pamuk erst an der Hand der Mutter, dann im Ford seines Vaters und später auf eigene Faust erkundet. Dabei skizziert der Autor nicht nur die Metropole am Bosporus, sondern auch die türkische Mentalität und Geschichte und fängt den »Hüzün« ein, die türkische Variante der europäischen Melancholie, die Istanbul fest im Griff hat.
Doch Pamuk teilt nicht nur seine eigene Sicht auf die Stadt mit, sondern lässt ebenso europäische Reisende, Künstler und Schriftsteller zu Wort kommen und vergleicht die Schilderungen untereinander auch mit seinen eigenen Empfindungen und Erinnerungen. Die so entstandene Liebeserklärung an die Stadt entpuppt sich jedoch zugleich als traurige Bilanz des Zerfalls. Das dokumentiert nicht nur der glänzend geschriebene Text, sondern eine Unzahl historischer Stiche und Schwarz-Weiß-Fotos.
Wer aktuelle Entwicklungen inklusive politischer Äußerungen erwartet, der wird enttäuscht. Es geht fast ausschließlich um das alte Istanbul zwischen 1800 und 1970. Hätte sich Pamuk auf heutige Entwicklungen eingelassen, wäre das Buch wohl deutlich düsterer. Schließlich ist Pamuks Gratwanderung zwischen Orient und Okzident nicht unproblematisch, seine kritischen Äußerungen zur türkischen Vergangenheit riefen längst Gerichte und Nationalisten auf den Plan. Mehr noch: Die Angst um sein Leben zwangen Pamuk Anfang 2007 sogar zur Flucht. Aus seinem geliebten Istanbul.
(Christian Haas, Amazon)
Orhan Pamuk, 1952 in Istanbul geboren, studierte Architektur und Journalismus und lebte mehrere Jahre in New York. Für seine Romane erhielt er 1990 den »Independent Foreign Fiction Award«, 1991 den »Prix de la découverte européene«, 2005 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2006 den Nobelpreis für Literatur. Der in seiner Heimat umstrittene Autor ist der erste türkische Schriftsteller, der die renommierte Auszeichnung erhält. Das Nobelpreiskomittee lobte seine Vermittlerrolle zwischen Orient und Okzident. 2006 erhielt Orhan Pamuk die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin und 2007 wurde er mit der Ehrendoktorwürde der Bosporus Universität in Istanbul ausgezeichnet. Der Schriftsteller lebt in Istanbul. (Der Hörverlag)
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