»Schmetterlingsjäger« ist ein Dokumentarfilm über das Leben des Schriftstellers Vladimir Nobokov: Ein Autor und ein Filmemacher diskutieren, wie man einen Film über Nabokov machen könnte. Ein Mann fährt durch die Alpen, um eine lang verschollene Geliebte zu treffen. Ein filmischer Essay, in dem Episoden aus Vladimir Nabokovs Leben und Büchern, philosophische Gespräche und imaginäre Rekonstruktionen eine Meditation über das Wesen von Zeit bilden.
Der Film »Schmetterlingsjäger« ist die radikale Probe aufs Exempel jenes Diktums von Godard: Ein Film muss einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben – aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Er ist keine eigentliche Literaturverfilmung, auch wenn er den Spuren Nabokovs folgt, besonders den Romanen »Ada oder das Verlangen« und dem autobiografischen »Erinnerung, sprich«. In beiden Romanen ist das Thema »Zeit« zentral – und so ist auch der Film in Inhalt und Form eine Reflexion des Phänomens der Zeit.
Dies geschieht zum einem als Dialog zwischen einem Professor der Philosophie (der reale Pariser Gelehrte Heinz Wismann) und dem Filmemacher (Klaus Wyborny), bei dem sie untersuchen, wie man, Nabokovs eigenen Reflexionen über die Textur der Zeit folgend, einen Film darüber machen könnte. Immer wieder werden Szenen eingeblendet, die beide am Schneidetisch zeigen, wo sie das gedrehte Material diskutieren und kritisieren. Zum anderen aber reflektiert die Form des Films selber das Vexierspiel der Zeit, so wie Nabokov selber es dargestellt hat.
(bergmann:film)
Der Ausgangspunkt zu dem Film »Schmetterlingsjäger« war wie bei meinen Filmen über Rolf Dieter Brinkmann und Friedrich Hölderlin ein konkreter Text Vladimir Nabokovs: Die »Textur der Zeit« – und die Unterstützung und Zusammenarbeit mit Dmitri Nabokov, dem Sohn des Autors. Er konnte mir die ausgewählten Texte seines Vaters in einer Weise lesen, wie kein Schauspieler es gekonnt hätte, er hat mich in vielem beraten, und mit ihm konnte ich den eigentümlichen Ansatz dieses Filmes entwickeln. In einem Beitrag schrieb Dmitri einmal: Ich glaube, man kann die Sprache eines großen Stilisten im Film einfangen, nicht nur in Dialogen und gesprochenen Kommentaren, sondern auch, indem man die Sprache selbst ins visuelle Medium überträgt.
Das frei improvisierte Gespräch zwischen einem Autor und Regisseur, die sich überlegen, wie man überhaupt einen Film über Nabokov und sein Thema, seine Herangehensweise, seinen Stil machen könnte, ist der dokumentarische Ausgangspunkt des Filmes. An ihn lagern sich Assoziationen, Szenen, Texte und Situationen aus drei verschiedenen Nabokov-Büchern an.
»Die Textur der Zeit« ist ein Kapitel aus Nabokovs Roman Ada oder das Verlangen. Der Protagonist Van Veen schreibt an einer Abhandlung über Zeit. In seiner Autobiographie Erinnerung, sprich versucht Nabokov, anhand seiner eigenen Lebensstationen die Muster in seinem Leben freizulegen und auf diese Weise dem Geheimnis der Zeit näherzukommen. Seine Kindheit in Russland, die Flucht vor den Bolschewiken nach Berlin, das Erlebnis der Schmetterlingsjagd. In dem Interviewbuch Deutliche Worte setzt Nabokov den nach dem Erfolg von Lolita aus aller Welt zum Großschriftsteller nach Montreux pilgernden Journalisten seine Ansichten auseinander.
Nabokov waren Romane, die einen positiven Helden aufbauen, mit dem sich der Leser persönlich identifiziert und sich so durch die Konflikte und Peripetien einer linear fortschreitenden Handlungszeit zu der unvermeidlichen finalen Lösung hindurchkämpft, ein Greuel. Das ist eigentlich das Schlimmste, was ein Leser tun kann, er identifiziert sich mit einer im Buch auftretenden Gestalt. In vielen seiner polemischen Äußerungen greift er die Art und Weise von normaler Erzählkonstruktion an: Die Themen haben gewechselt, deren Spiel jedoch stets das gleiche ist: ein Konflikt zwischen diesem und jenem und dazu die gleichen eisernen Verlaufsregeln des Konflikts, die zu einem glücklichen oder unglücklichen Ende führen, aber immer zu irgendeinem Ende, das unabwendbar in der Ursache enthalten war. Die falsche Vorstellung, das Leben und folglich auch die Darstellung des Lebens müsse auf einem ununterbrochenen Strom von Ursache und Wirkung beruhen, der uns zum Meer des Todes trägt. Seine Romane der Spätzeit können als gezielte ironische Sabotageakte an den normalen Identifikationstechniken gelesen werden.
Mein Ziel war daher weder eine biographische Dokumentation über Nabokovs Leben noch eine Spielfilmumsetzung oder »Verfilmung« eines seiner Bücher, sondern ich wollte das Thema, das Nabokov in seinem Spätwerk interessierte, bearbeiten: Zeit.
(Regisseur Harald Bergmann)
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